Gabriele und Matthias Belikan
Systemische Beratung und Systemische Therapie


Freiheit in der Liebe macht uns Angst. Sich wechselseitig freilassen und doch auf die Bindung vertrauen? Dazu fühlen wir uns zu unsicher. Wir unterstellen lieber, Bindung sei wechselseitiger Besitz. In kurzer Zeit ersticken wir so die Liebe. Dass Freiheit nicht Unverbindlichkeit heißt, kommt vielen nicht in den Sinn. Dass sie die Bindung vertieft, klingt unglaubwürdig…

Und doch wissen wir alle, dass sich Gefühle nicht erzwingen lassen. Aber was ist denn diese Kunst der freien Bindung? Wie lassen sich Freiheit und Bindung vereinen, so, dass die Sehnsucht nach Unabhängigkeit und der Wunsch nach Zugehörigkeit erfüllt werden.

So könnte man anfangen:

1. Ich möchte in unserer Beziehung lernen, von der wechselseitigen Unkenntnis auszugehen und dich nicht mehr mit meinen Vorstellungen davon, wie Du bist oder wie ich Dich haben will zu besetzen.

2. Ich möchte in unserer Beziehung lernen, unser gemeinsames unbewusstes Zusammenspiel ernst zu nehmen und damit zu erkennen, dass ich verantwortlich, aber nicht unabhängig bin.

3. Ich möchte in unserer Beziehung lernen, wirkliche Gespräche mit Dir zu führen und dafür einen äußeren Rahmen zu finden; nur so kann ich lernen, mich und dich ernst zu nehmen; du kannst mir nicht wesentlich sein, wenn ich mir nicht wesentlich bin.

4. Ich möchte in unserer Beziehung lernen, mich in konkreten Erlebnissen und nicht in Begriffen zu erläutern, weil Bilder und Geschichten erst wirklich tiefgehend und umfassend wiedergeben können, wer ich bin – und wer du bist.

5. Ich möchte in unserer Beziehung lernen, zu erkennen, dass ich mir auch die Gefühle mache, von denen ich gern annehme, dass du sie mir machst – zum Beispiel Kränkung und Schuldgefühle –, oder von denen ich glaube, dass sie mich einfach überkommen – wie etwa Angst und Depression.

  • Erstens: dass ich meine Beziehung insgesamt sehr aktiv gestalte, auch dort, wo ich denke, es passiert eben so. Vor allem: Auch meine Liebesempfindungen mache ich zu einem großen Teil selbst. Das gilt für alle, auch wenn sie es noch nicht aus eigener Erfahrung wissen.
  • Zweitens geht es darum, dass wir uns in Partnerschaften viel mehr austauschen und abstimmen müssen, als wir es ahnen.

Keiner bezweifelt das altfranzösische Sprichwort «L’amour est l’enfant de la liberté» – die Liebe ist das Kind der Freiheit. Es ist eine tiefe Wahrheit. Sie ist schön. Und sie ist entsetzlich. Denn wir richten die Liebe zugrunde, indem wir in unseren Beziehungen Bindung mit Besitz des anderen verwechseln. Wir verwandeln sehr schnell das zu jeder Liebe gehörende Gefühl, mit dem geliebten Menschen zusammen sein und ihn in dieser Gefühlsform «besitzen» zu wollen, in den ausgesprochenen, ja oft tätlichen Anspruch: «Du gehörst mir.»

Vermutlich ist es der Wunsch nach Sicherheit, das heißt, es ist unsere Unsicherheit, die auf diese Weise die Freiheit in der Partnerschaft in Unfreiheit verwandelt und die Liebe ganz gezielt in tausend kleinen Alltagshandlungen zum Schwinden bringt. Wollen wir die Liebe freilassen, geht es also darum, uns wechselseitig zu befreien – genauer gesagt: die äußere und innere Unfreiheit zu mindern, die wir unter dem gesellschaftlichen Zwang, uns selbst unter Kontrolle zu halten, täglich nachproduzieren. Diese Befreiung beginnt – und endet – mit dem Entschluss, uns so zu akzeptieren, wie wir sind.

Es ist ein Zusammensein ohne Abhängigkeit, aber in tiefer Verbundenheit. Wenn zwei Menschen miteinander wirklich im Herzen verbunden sind, stellen sich Fragen wie persönlicher Freiraum, Eifersucht, etc. nicht mehr. Jeder lebt, was ihn erfüllt und wie es ihn erfüllt und gleichzeitig geschieht Gemeinsamkeit, wie von selbst. Diese Gemeinsamkeit braucht keinen Plan, keine Regeln und keine Absprachen.

Wirkliche Freiheit ist dann vorhanden, wenn man sich über sie keine Gedanken mehr macht. Sie ist einfach nur da, so wie auch Liebe einfach nur da ist, wenn wir nichts mehr tun, um sie zu bekommen. So gesehen haben Liebe und Freiheit viel miteinander zu tun.

Vgl. Michael Lukas Möller (1937-2002), Die Liebe ist das Kind der Freiheit, 1986 Rowohlt Verlag GmbH

Jeder Mensch vor dem Hintergrund seiner eigenen persönlichen und ethnischen Konstitution, ganz individuelle Erfahrungen. Hüther et. al beschreiben sehr anschaulich, aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen Menschen die eigenen Erfahrungen sehr individuell verarbeiten. So bilden sich ganz einzigartige neuronale Verknüpfungen und ebenso einzigartige Symptomatiken die wiederum eine Bandbreite an Bewältigungsmustern und – Strategien produzieren. Wenn die so gebildeten neuronalen Netzwerke nun häufig erfolgreich genutzt werden, können diese etabliert und ausgebaut werden. Je früher in der Kindheit solche Reaktionsmuster erworben werden, desto älter und tiefergelegen ist der Bereich des Gehirns in denen diese Muster gebildet und auch gespeichert werden. Später gebildete äußere Hirnareale sind sehr viel komplexer als die älteren, früher entstandenen. Diese Komplexität kann bei schwerwiegenden psychischen Belastungen zu übermäßiger Erregung der benannten Areale führen, so, dass sie nicht mehr funktionieren. In der Regel hilft sich das Gehirn indem, die in früher Kindheit erworbenen Verhaltensmuster, die in den sehr viel stabileren Gehirnarealen abgelegt sind, aktiviert werden. Bei traumatisch erlebten Ereignissen, die je nach Traumatisierung oft sogar immer wieder erlebt werden müssen, versagen auch diese Bewältigungsmuster und eine Art Notfallprogramm wird automatisch aktiviert. Wobei entweder eine, durch den so genannten Smypatikus, der ein Teil des autonomen Nervensystems ist, induzierte Fluchtreaktion erfolgt oder, wenn diese nicht möglich ist, eine durch den Parasympathikus induzierte Erstarrung. Sämtliche Funktionen des Hippocampus und des Frontalhirns, die für das Speichern einer Erfahrung und den dazu- gehörenden Sinnesreiz zuständig sind, sind dabei blockiert. Das Erlebte wird dann fragmentarisch, ohne jeden Zusammenhang, abgespeichert. Die in einer solchen Situation extrem aktivierten neuronalen Netzwerke werden, je größer die entsprechenden emotionalen Zentren im Gehirn aktiviert werden, desto stärker miteinander verknüpft. Zusätzlich werden im limbischen System Angstreaktionen aktiviert und im Stammhirn Körperreaktionen wie: erhöhter Herzschlag und Blutdruck, sowie Körperstarre produziert, was wiederum mit vom präfrontalen Cortex gesteuerten Gefühlen wie: Schuld, Ohnmacht und Hilflosigkeit in Verbindung tritt. Die nun zu einer Art Netzwerk angelegten Verbindungen, können jederzeit durch äußere Schlüsselreize (Sinneswahrnehmungen, Gefühle, Körperreaktionen) reaktiviert (angetriggert) werden.

Analog dazu beschreiben Klinghardt et. al. Traumata als Verletzungen auf körperlicher, emotional-energetischer oder psychischer Ebene die, bleiben sie unbehandelt, zu Blockaden der Informationsverarbeitung im Gehirn führen. Der Zugriff auf

Erinnerungen, Emotionen und Intuitionen wird so eingeschränkt, dass traumatische Erlebnisse nachhaltige Wirkungen auf den gesamten Organismus hinterlassen, wozu Schlafstörungen, Ängste, somatische Reaktionen uvm. gehören. Je nach Schweregrad der Verletzung, auch bleibende anatomische Veränderungen im Gehirn, wie das Schrumpfen des Hippocampus (Gehirnareal für das Erinnern und Emotionen), Veränderungen des Hormonhaushaltes, sowie Veränderungen in der Steuerung der Gene. Je früher eine Traumatisierung stattfindet, desto tiefgreifender sind die Auswirkungen, da hierbei direkt die Prozesse während der Hirnentwicklung beeinflusst werden. Dabei wird das Fundament des Gehirns bereits maßgeblich verändert und bildet so die Grundlage für die weitere Strukturierung des Gehirns. Eine fortlaufende Traumatisierung birgt so die Gefahr, dass durch wiederholtes dissoziieren bei Stress, autonome Muster gebildet werden, die zu eigenständigen Teilidentitäten (dissoziative Identitätsstörung) ausgebildet werden. Der Begriff Multiple Persönlichkeit ist hierfür bekannt.

Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen restrukturiert sich das Gehirn mehr als angenommen. Das bedeutet, dass entstandene Vernetzungen zeitlebens zu neuen Nutzungsmustern umgeformt werden können. Dies ist jedoch ein sehr komplexer, langwieriger Prozess. Und, Je früher die oben benannten Verschaltungen entstanden sind, desto schwieriger ist deren Auflösung. Eine achtsame Vorgehensweise ist hierbei von elementarer Bedeutung, da Retraumatisierungen schnell entstehen können. Traumapädagogik und Traumatherapie sind wirksame Ansätze, um eben jene Umstrukturierungsprozesse im Gehirn einzuleiten.

Wirkungsweise

im Umgang mit einem Menschen der ein Problem hat, sich in einer Konfliktsituation befindet oder in einer Krise steckt, nehmem Psychotherapeuten oder Berater mit tiefenpsychologisch fundierten, verhaltenstherapeutischen oder psychoanalytischen Ansätzen Betroffene mit ihren Gedanken, Emotionen und ihrem Verhalten in den Blick. Die Systemische Therapie mit ihrer etwas anderen Haltung nimmt neben all dem zusätzlich einen anderen Blickwinkel ein und betrachtet sowohl das Individuum als auch den Kontext (das System) in dem sich dieses Individuum aufhält. Im Behandlungs – oder Beratungskontext geht es weniger darum diesen Menschen zu verändern, sondern vielmehr darum nach alternativen Kommunikations- und Interaktionsmustern zwischen Menschen im System zu suchen. Aus systemischer Sicht wirkt alles mit allem zusammen. Jede Intervention an einer Stelle im System hat Auswirkungen auf andere Bereiche. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Überlegung wo im System Energie dafür da und dementsprechend ein guter Ansatzpunkt dafür ist.

Musterunterbrechung

Die Systemische Sichtweise beinhaltet darüber hinaus weitere Aspekte. Wichtige Merkmale in Systemen sind sich wiederholende Interaktionsmuster. Hierzu gehört z. B. wenn etwas immer wieder vertragt wird, Entscheidungen nicht getroffen werden oder Konflikte nicht offen benannt werden. Ziel einer systemischen Beratung oder -Therapie ist es, dies wahrzunehmen, den (bisherigen) Nutzen zu erkennen, zu würdigen und diese Muster mit geeigneten Interventionen zu unterbrechen, bzw. zu verändern.

Sinnhaftigkeit:

Die systemische Sichtweise beinhaltet darüber hinaus, dass jedes Verhalten, aus einer bestimmten Perspektive betrachtet, einen Sinn ergibt. Verhaltensweisen oder Symptome, die zunächst vielleicht sogar als bizarr oder unverständlich erscheinen, zeigen sich so betrachtet als durchaus sinnvolles Verhalten in einem besonderen Kontext. Das bedeutet auch die bisher scheinbar erfolglosen Lösungsversuche von Klienten oder Patienteninnen wertzuschätzen und das darin enthaltene Potenzial sichtbar werden zu lassen.

Ressourcenorientierung:

Die systemische Grundhaltung nimmt weniger das Problem oder Defizite in den Fokus, als vielmehr die vorhandenen Potentiale, Ressourcen, Handlungsmöglichkeiten und – Optionen. Ziel ist es, das zu sehen und anzuerkennenen, was bereits gelingt, mehr von dem zu tun was gut funktioniert und dabei diesen Handlungsspielraum durch die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten zu vergrößern. So werden eingeschränkte und eingefahrene Denkmuster erweitert, Neues entsteht und etabliert sich – auch neurobiologisch und somit nachhaltig.

Autonomie:

Organisationen und menschliche Systeme sind lebendig. Sie sind nicht direktiv zu steuern, wie vielfach angenommen wird. Nachvollziehbar wird dies wenn man sich vor Augen führt die Organisation/das System sei eine Maschine, die durch einen gewissen Input einen vorhersehbaren Output erzeugt. Bei einer Maschine kann vorhergesagt werden, was passiert, wenn man einen „Knopf drückt.“ Beim Menschen funktioniert dies nicht.